Pressespiegel

Stadtumbau West für Stadtplanungen der frühen Nachkriegszeit (Teil I)

Die Stadtplanungen der frühen Nachkriegszeit, der 1950er und 60er Jahre, die für die Vertriebenen und Ausgebombten verwirklicht wurden, sind ein wichtiges Zeugnis unserer nationalen Identität. In ihnen wurde das Leitbild der sozialen Stadt in einer Weise propagiert, die den Freiraum in seiner Topographie, Vegetation und Landschaftsgenese respektierte und in die neue Stadtlandschaft einbezog. Diese Stadtplanungen entstammen der Zeit unmittelbar vor dem Leitbild der autogerechten Stadt der 1970er Jahre mit ihren monströsen Großwohnsiedlungen, Parkdecks, den überdimensionierten Leerräumen zwischen den Blöcken und ihrer „vergärtnerten“ Gestalt. Die Stadtlandschaften der frühen Nachkriegszeit waren in ihrer Dimensionierung hingegen von behutsamer Achtung gegenüber der vorgefundenen Landschaft gekennzeichnet und damit bereits weitaus fortschrittlicher, als es der Städtebau der darauffolgenden Jahrzehnte für sich reklamierte.

Dass die Stadtplanung neue Konzepte und Planungsansätze benötigte, war bereits vor dem Krieg eine etablierte Erkenntnis und manifestierte sich in der Kritik der Artikel 71 und 72 der Charta von Athen, in denen behauptet wird : „Die meisten der untersuchten Städte zeigen heute ein Bild des Chaos: Sie entsprechen in keiner Weise ihrer Bestimmung, die wichtigsten biologischen und psychologischen Bedürfnisse ihrer Bewohner zu befriedigen. Dieser Zustand enthüllt die seit Beginn des Maschinenzeitalters unaufhörlich gewachsene Anhäufung privater Interessen.“ Diese Kritik hat grundsätzlich trotz aller Fortschritte ihre Relevanz bis heute nicht eingebüßt, wobei neben der Anhäufung privater Einzelinteressen, sprich Investoren, gegenüber dem Gemeinwohl zusätzlich die Problemstellung auftritt, dass die administrative Zersplitterung des öffentlichen Stadtraumes einem übergreifenden Gesamtkonzept entgegensteht. Es werden Daten gesammelt und verwaltet, aber die Schnittstellen der Informationsübertragung und der vorausschauende und kreative Umgang mit den Ressourcen zugunsten eines geordneten Freiraumes bleiben vielfach ungenutzt. Nach Umsetzung punktueller Einzelmaßnahmen stellt sich der Freiraum nur noch als das dar, was zufällig von ihm übrig geblieben ist. Es fehlt ihm an einer gesamtplanerischen Struktur.

Die Relevanz von Planungswerken für den städtischen Freiraum wird oft unterschätzt. Dazu kommt, dass die Arbeit der Verwaltung vielerorts durch die Auflösung von Gartenämtern in sogenannte Betriebe, Umweltämter und Stadtplanungsämter erschwert wurde. Die umfassende Betrachtungsweise endet deshalb nicht selten bei einem beauftragten integrierten Stadtentwicklungskonzept, die in Bezug auf den städtischen Freiraum jedoch nicht an eine qualifizierte Zielplanung heranreichen. Doch ohne eine konzeptionelle Zielplanung für den Freiraum auf dem Niveau einer Vorplanung mit geschätztem Kostenkatalog bleiben die politischen Entscheidungsträger im wahrsten Sinne des Wortes planlos. Diese strukturellen Defizite können letzten Endes schnell zu Fehlinvestitionen, versäumten Beantragungsfristen mit Verfall von Fördergeldern und einer desillusionierten Bevölkerung führen, die zu Recht ihre Hoffnung auf den Stadtumbauprozess gesetzt hat.

Auf diese Weise werden nicht nur die Zukunftschancen von Stadtgebieten versäumt, bleibt nicht nur die Steigerung des Erholungswertes von Stadtlandschaften ungenutzt oder ihre ökologischen Ressourcen unbeachtet, sondern auch der Denkmalwert einer Stadtlandschaft im Sinne von Max Dvořák Denkmalverständnis bleibt unberücksichtigt. Seine Gedanken haben Eingang in die Charta von Venedig aus dem Jahre 1964 zur Konservierung und Restaurierung von Denkmälern und Denkmalbereichen gefunden. Dort steht in Artikel 1 zu lesen: „Der Denkmalbegriff umfasst sowohl das einzelne Denkmal als auch das städtische oder ländliche Ensemble (den Denkmalbereich), das von einer ihm eigentümlichen Kultur, einer bezeichnenden Entwicklung oder einem historischen Ereignis Zeugnis ablegt. Er bezieht sich nicht nur auf große künstlerische Schöpfungen, sondern auch auf bescheidene Werke, die im Lauf der Zeit eine kulturelle Bedeutung bekommen haben.“

Den Stadtplanungen der frühen Nachkriegszeit wohnt diese kulturelle Bedeutung inne. Die Zunahme der westdeutschen Einwohnerzahl um ein Viertel bei über vier Millionen zerstörten Wohnungen war Motor jener Städtebaukultur, die mit Naturlandschaft durchdrungene Siedlungsbereiche schuf. Noch heute legt sie Zeugnis ab von Stadtzerstörung, Vertreibung, Wohnungsnot und dem Verlangen nach einem friedlichen Lebensumfeld im Einklang mit der Natur ohne martialische Achsenbildungen und Exerzierplätze. Diese Stadtplanungen sind zugleich ein Abbild der gesellschaftlichen Konstitution der Bonner Republik; schlicht, einfach, unprätentiös, bodenständig und auf sozialen Ausgleich bedacht. In der Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 12./13.04.2003 spricht der Autor Thomas Steinfeld in seinem Artikel über die Sennestadt aus der Reihe „Deutsche Landschaften“ in Bezug auf die Sennestadt, einer Stadtplanung aus den späten 50er und frühen 60er Jahren, von einem „Freilichtmuseum der Moderne“. Gleichwohl ist die Denkmalwürdigkeit dieser Planungen bis heute leider keine allgemein anerkannte Tatsache und zudem oftmals auch gar nicht gewünscht. Hier bedarf es noch einiger Anstrengungen, das gesellschaftliche Bewusstsein soweit zu schärfen, dass der Denkmalwert dieser bescheidenen, zurückhaltend gestalteten Werke in seiner kulturellen Bedeutung angemessen Rechnung getragen wird.

Veröffentlicht am:
06.12.2012

Autor:
Ehm Eike Ehrig

Stichworte:
Charta, Denkmal, Denkmalwert, Freiraum, Kostenkatalog, Dvorák, Sennestadt, Stadtentwicklungskonzept, Nachkriegszeit, Stadtlandschaft, Stadtumbau, Vorplanung, Zielplanung