Pressespiegel

Stadtlandschaft und Kulturlandschaft im Spiegel der gesellschaftlichen Veränderungen

Unsere gegenwärtigen Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse finden in unserer Landschaft ihr Abbild. Diese Landschaft stellt sich in Deutschland zu hundert Prozent als Kulturlandschaft dar.

Unsere gegenwärtigen Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse finden in unserer Landschaft ihr Abbild. Diese Landschaft stellt sich in Deutschland zu hundert Prozent als Kulturlandschaft dar. Da sich von Generation zu Generation jedoch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Lebenseinstellungen der Menschen wandeln, führt dies zu einer ständigen Anpassung und damit zur Veränderung der Umwelt. Den jüngsten Anpassungen liegen Transformationsprozesse der Deindustrialisierung, Suburbanisierung und demographischen Alterung auf dem Hintergrund des Endes der industriellen Wachstumsepoche zugrunde. Wir erleben gerade den Umbruch eines langfristigen Megatrends, weg von Wachstum und Stagnation hin zur Schrumpfung. Diese Umstellung wird zusätzlich durch die Umorientierung in der Energieversorgung beschleunigt, die mit einer Änderung von Leitbildern, Handlungsmodellen und Praktiken eine gesellschaftliche Umorientierung erzwingt. Diese Anpassungsprozesse verlaufen nicht kontinuierlich, vielmehr besteht eine Diskrepanz zwischen der realen und oftmals schleichend vonstatten gehenden Entwicklung und ihrer gesellschaftlichen Wahrnehmung. Nicht selten werden diese Entwicklungen von fehlender Bereitschaft begleitet, Problementstehungen als solche zu erkennen. Ein gutes Beispiel hierfür sind Subventionen, da durch sie der Status Quo erhalten werden soll und eine Anpassung an die Realität verhindert wird. Gerade die Landwirtschaft ist von Subventionen und somit von verpasster Anpassung besonders betroffen. Sie hinkt einerseits der Entwicklung zu einer ökologischen und qualitativen Landwirtschaft hinterher und verursacht andererseits Interessenkonflikte mit der Nahrungsmittelproduktion durch den rasant gestiegenen Anbau von nachwachsenden Rohstoffen. Die Hinwendung zur Energiewirtschaft aus nachwachsenden Rohstoffen führte bereits 2007 zu einem scheinbar überraschenden Anstieg der Nahrungsmittelpreise, und dies nicht zuletzt aufgrund von Vorgaben der EU-Kommission, die vor Jahren begrenzte Produktionsquoten für Getreide, Milch und andere Produkte beschloss. Es gibt zahlreiche solcher Beispiele und so dürfte es kaum verwundern, dass für den Wandel und die ständige Entwicklung von Kulturlandschaft wenig Bewusstsein existiert.

Auf die Stadtlandschaft bezogen gilt ähnliches, so war der Begriff „Schrumpfende Stadt“ lange verpönt und es wurde versucht, den neuen Herausforderungen aus dem Wege zu gehen, indem, nach Oswalts Untersuchungen zum Thema „Schrumpfende Städte“ (2004) ein ganzes Arsenal von Beschönigungsvokabeln den Kern der Sache verschleiern sollte. Realität und Wahrnehmung klaffen auseinander, so zieht die Bevölkerung einerseits massenhaft in das Einfamilienhaus im Umland, aber zugleich bleibt andererseits die verdichtete Stadt das Leitbild des Städtebaus, mit allen Risiken der miteinander konkurrierenden Wohnformen. Ähnlich verhält es sich mit unserem Landschaftsbild, indem Kulturlandschaft häufig mit der Landschaftsmalerei der Renaissance oder mit den arkadischen Landschaften der Gartenkunst aus vorindustrieller Zeit assoziiert wird. Gesellschaftlich kaum wahrgenommen wird hingegen  der schleichende aber dennoch massive Rückgang seltener Grünland- und Ackerwildkrautarten. Und das vor dem Hintergrund, dass sich laut Sukopp (in Garten+Landschaft 2: 36, 2004) die Artenzusammensetzung der Floren und Faunen, auch durch Zuwanderung neuer Arten,  sich gegenwärtig in einem für die Erdneuzeit unvergleichlich raschen Tempo verändern!

Die Kulturlandschaft und die Stadtlandschaft als ihr spezieller Teil sind daher seit jeher Ausdruck und Wunsch gesellschaftlicher Konstitution gewesen und können als solche gelesen und interpretiert werden.

So führte die Sesshaftwerdung des Menschen durch Ackerbau und Viehzucht nicht nur zu einem grundsätzlichen Wandel in der Entwicklung der Menschheitsgeschichte, sondern auch in der Verbreitung von Flora und Fauna. Die Landverwüstung im Mittelalter war ebenfalls ein tiefgreifender Einschnitt in der Ausprägung der mitteleuropäischen Landschaft. Wälder wurden selten und blieben es, bis günstigere Wollimporte aus Übersee im 19. Jahrhundert zur Aufgabe der heimischen Weidebewirtschaftung zwangen. Heute ist ca. ein Drittel Deutschlands wieder mit Wald bestanden und ein Neophyt aus Südafrika (Senecio inaequidens) verbreitete sich ausgehend von den Wollkämmereien in den Häfen entlang der Autobahnen über ganz Deutschland und erfreut uns seitdem von Anfang September bis zum Frost mit seinem gelben Blütenband entlang der Straßen.

Diese angerissenen Beispiele können illustrieren wie wirtschaftlich-gesellschaftliche Veränderungen unsere Landschaft verändern. Doch zugleich wirken diese Landschaften zurück auf unser Bewusstsein, denn die Kultur- und Stadtlandschaften sind wichtig für unser Selbstverständnis und unsere Selbstreflexion, und wir können uns fragen, was die schrumpfenden Städte und die Veränderungen der landwirtschaftlichen Produktionsverhältnisse kulturell über uns aussagen und welche Mentalitäten, Ideen und Wertvorstellungen ihr zugrunde liegen. Derzeit stecken wir mitten im Umbruch von der landwirtschaftlichen Kulturlandschaft hin zur energiewirtschaftlichen Kulturlandschaft. Die Deutsche Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur wird sich 2013 intensiv mit dem Thema Energielandschaft auseinandersetzen.

Veröffentlicht am:
20.09.2011

Autor:
Ehm Eike Ehrig

Herausgeber:
LandschaftsArchitektur Ehrig

Stichworte:
Energielandschaft, Gartenkunst, Kulturlandschaft, Landschaft, Landschaftskultur, Städte, Stadtlandschaft, Suburbanisierung, Umwelt