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Städtebau im Jugendstil – Ein Parkpflegewerk für den UNESCO-Weltkulturerbeantrag der Mathildenhöhe in Darmstadt


Das Jahr 2020 wird für Darmstadt ein bedeutsames Jahr werden. Denn in diesem Jahr fällt die Entscheidung, ob die Mathildenhöhe als Weltkulturerbe von der UNESCO anerkannt wird.

Die Mathildenhöhe ist ein architektonisches Gesamtkunstwerk aus den Jahren 1901-1914, das Stadtplanung, Architektur, Gartenkunst und bildende Kunst miteinander vereint. Die prägenden Architekten und Künstler, die über ihre Lehrtätigkeit auch Einfluss auf nachfolgende Generationen ausübten, wagten den Aufbruch in die Moderne, indem sie eine im Geiste des Jugendstils geborene städtebauliche Vision verwirklichten. Der Großherzog Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt holte für diese Aufgabe den Wiener Architekten Joseph Maria Olbrich nach Darmstadt sowie später den Architekten Albin Müller und den Bildhauer Bernhard Hoetger, aber auch viele andere bedeutende Künstler. Ihr Ansporn war, laut Zeitgenossen, die „Loslösung von herkömmlicher, enger Kunstauffassung“1 mit dem Ziel, einen „Weckruf“ weit über die Grenzen Darmstadts2 hinaus in die Welt zu senden. Die Pionierleistung der Darmstädter Künstlerkolonie würde mit einer Aufnahme in die Welterbeliste der UNESCO ihre offizielle Bestätigung erfahren.

Um den Welterbetitel für die Darmstädter Mathildenhöhe zu erlangen, wurde von der Stadt ein Advisory Board gebildet, das den Beantragungsprozess begleitet. Ein Bestandteil der Antragsunterlagen wird das Parkpflegewerk für die Mathildenhöhe sein, mit dem das Bielefelder Büro L-A-E LandschaftsArchitektur Ehrig beauftragt wurde. Das Parkpflegewerk umfasst die Kernzone der Mathildenhöhe, bestehend aus dem extravaganten Hochzeitsturm und den historischen Ausstellungshallen, dem Museum der Künstlerkolonie mit ihren Künstlerhäusern und dem Teil der Pufferzone, der als zentraler Aufgang zur Mathildenhöhe vom Stadtzentrum aus hinaufführt.3 Wesentliche Elemente dieses Jugendstilstädtebaus sind der Hochzeitsturm mit seinem Vorplatz, der unmittelbar angrenzende Platanenhain und die Blickachse zur russischen Kapelle mit dem ihr vorgelagertem Albin-Müller-Becken.

Das älteste Element ist der Platanenhain von 1830, der in der Zielplanung aus 184 Platanen besteht und von Ludwig III. v. Hessen u. b. Rhein zur Verlobung mit Mathilde Karoline von Bayern gepflanzt wurde. Seither trägt der Ort den Namen Mathildenhöhe und beinhaltet auch das Thema Liebe und Hochzeit. Die russische Kapelle kam wenige Jahre vor dem großen Weckruf der Moderne 1897 auf die Mathildenhöhe zur Vermählung der Schwester des Großherzogs mit dem russischen Zaren. Seither ist dieses Bauwerk, das von Zeitgenossen als archaisch charakterisiert wurde, eine akzeptierte, aber nicht geliebte Zutat auf der Mathildenhöhe. 

Olbrich versuchte die Kapelle in seine Gesamtplanung einzubinden, indem er in seiner Planung aus dem Jahr 1901 der Kapelle einen Resonanzraum in Form eines Vorplatzes mit Brunnen verlieh. „Das Wasserbecken vor der Kapelle sollte diesen Fremdkörper in das Jugendstil-Ensemble einbinden.“5 Dieses architektonische Paar aus Bauwerk und Brunnen wurde zudem dadurch aufgewertet, dass es den Aufgangsweg zur Mathildenhöhe in einer großen Geste trompetenförmig öffnet, um exakt vom Öffnungspunkt aus eine Symmetrieachse als Blickbeziehung zur Kapelle in seinen Plan einzuzeichnen.  Olbrich schuf damit einen von Weitem sichtbaren Point-de-vue.

Das bedeutenste Element nach dem Platanenhain und der Kapelle mit ihrem Becken ist jedoch der Hochzeitsturm aus Backstein (48,5 Meter), der seiner Dachform nach auch als Fünffingerturm benannt wurde. Olbrich gestaltete den  Vorplatz des Hochzeitsturms als einen Freiraum, der in seiner Anlage an den Vorhof zum salomonischen Tempel6 erinnert und durch sein musivisches Pflaster aus sich abwechselnden schwarzen und weißen Platten sehr festlich wirkt.

Viele Details und große Gesten auf der Mathildenhöhe sind symbolisch aufgeladen. So bildet im Platanenhain „die Unzerstörbarkeit des Lebens im Wandel seiner Erscheinungsformen“ das programmatische Leitmotiv.7 Der Platanenhain wiederrum mit seiner Baumart, die durch die beständige Erneuerung ihrer Rinde für das Ablegen von Vorurteilen und überkommenen Sichtweisen steht, gilt in der Gartenkunst als Symbol der Weisheit. Dem Hain wurde ein „Sakraler, heiliger Charakter“ durch Bernhard Hoetgers Fresken verliehen,8 der die Symbolik der Platanen mit den Weisheiten des Buddhismus und den Weisheiten, die sich aus einer kontemplativen Naturbetrachtung ergeben kombinierte. 

Die Wegeführung der Überplanung aus den 1960erJahren biegt im Gegensatz zu Olbrichs „Trompetenöffnung“ frühzeitig vor dem ehemaligen Vorplatz ab und zieht sich geradewegs zwischen Platanenhain und russischer Kapelle hindurch, um vor dem Nebengebäude des Ausstellungshauses gegen die von weither sichtbare Wand zu laufen. Das freiraumplanerisch inszenierte Paar aus Brunnen und Kapelle hat seine Funktion als Point-de-vue verloren, wodurch Besucher auch am Eingang zum Hain vorbeigeleitet werden. Die einzelnen Teilräume haben infolge der Überplanung weitestgehend aufgehört, miteinander in Beziehung zu stehen. Dieses Dilemma bildete den Anlass für die Rekonstruktionsbemühungen zur Jahrtausendwende. Die Nachkriegsplanung im Bereich des Vorplatzes zur Kapelle kann deshalb nur als erhaltungswürdige Denkmalsubstanz angesprochen werden, wie Blickbeziehungen auf die wesentlichen Bauelemente der Jugendstilzeit gewahrt bleiben. Daher zielt das Leitbild für diesen Freiraum darauf ab, eine angemessene Verzahnung der beiden sich überlagernden Zeitphasen aus klassischer Moderne und Nachkriegsmoderne freiraumplanerisch herbeizuführen. Die Brüche in der Genese sollten ablesbar bleiben und dennoch sollte ein nachvollziehbarer Übergang gefunden werden, der den Freiraum auf der Mathildenhöhe erneut als Einheit erkennbar werden lässt.

Die Charta von Washington (1987), auch Internationale Charta zur Denkmalpflege in historischen Städten genannt, beinhaltet zwei Grundsätze, die in Anwendung auf die Situation der Mathildenhöhe von besonderer Bedeutung sind. Das eine ist der Grundsatz 2 b). Dort wird postuliert: „Zu den Werten, die es zu bewahren gilt, gehören der historische Charakter und all jene materiellen und geistigen Elemente, in denen sich (…) die Beziehung zwischen Bauwerk, Grünfläche und Freifläche ausdrückt.“ 9

Die Planung der 1960er verband alle Teilräume zu einer neuen übergeordneten Einheit, stellte dafür jedoch die historisch begründete Aura zur Disposition, indem die Raumbezüge zur Kapelle und ihre historische Bedeutung planerisch unberücksichtigt blieben. Eine Gegenreaktion zu dieser Rauminterpretation setzte ein und schlug sich schließlich in der Rekonstruktion zur Jahrtausendwende nieder. Die Folge hieraus war jedoch, dass dem rekonstruierten Freiraum die Grundlage seiner räumlichen Herleitung fehlte und die Mathildenhöhe in zusammenhanglose Einzelräume zerfiel. Eine planerische Vermittlung zwischen den beiden Leitbildern mit dem Ziel einen übergeordneten Zusammenhang des Freiraumes auf der Mathildenhöhe wieder herzustellen, wäre für eine angemessene Entwicklung der Mathildenhöhe notwendig.

Nach der 3. These des Welterbe-Manuals ist „die spezifische Bedeutung einer Welterbestätte (…) nicht zuletzt auch Maßstab für die Beurteilung der Angemessenheit von Veranstaltungen.“ 

Rammkernsondierungen, die im Rahmen des Parkpflegewerkes durchgeführt wurden, ergaben, dass der Untergrund extrem verdichtet ist, weshalb alle Nutzungsansprüche an diesen besonders fragilen Freiraum aufgegeben werden sollten. Das bedeutet, dass weder Last-, Personenkraftwagen noch Fahrradfahrer in den Platanenhain gelangen dürfen, ausgenommen Pflegefahrzeuge, die für den Schnitt und Erhalt des Hains notwendig sind. Der Freiraum des Vorplatzes am Albin-Müller-Becken könnte künftig Ort für Festivitäten und Veranstaltungen werden, die bisher im Platanenhain abgehalten wurden. 

Der Städtebau aus der Phase des Jugendstils auf der Darmstädter Mathildenhöhe ist ein einmaliges kulturhistorisches Erbe und verdient es, den Welterbestatus zu erhalten. Die Umsetzung der im Parkpflegewerk empfohlenen Maßnahmen bildet zum Erlangen dieses renommierten Titels eine wesentliche Voraussetzung. 

Ehm Eike Ehrig, Landschaftsarchitekt bdla, L-A-E LandschaftsArchitekten Ehrig & Partner mbB, Bielefeld, Mitglied im bdla-Arbeitskreis Gartendenkmalpflege

1) JUNG, H.R. (1901): Die Ausstellung der Darmstädter Künstlerkolonie 1901. In: Die Gartenkunst, 3, 1904. S. 163, 164

2) HEISS, NIKOLAUS 2010: Mathildenhöhe Darmstadt. Kunstführer Nr. 2757. Schnell & Steiner GmbH, Regensburg

3) EHRIG, E. E.  2018: Parkpflegewerk Mathildenhöhe Darmstadt. Darmstadt, Bielefeld

4) FUCHS, GEORG 1901: Die „Mathildenhöhe“ einst und jetzt. In: Deutsche Kunst und Dekoration. Alexander Koch Verlag, Darmstadt, S. 521

5) SCORZIN, PAMELA 1999/2004: Im Zeichen des Wassers, zum skulpturalen Programm der Darmstädter Mathildenhöhe – von den Anfängen der Künstlerkolonie 1899 bis heute. In: Geelhaar, Christiane: 100 Jahre Planen und Bauen für die Stadtkrone, Bd. 1: Die Mathildenhöhe ein Jahrhundertwerk. Justus von Liebig Verlag, Darmstadt, S. 144, S. 146

6) VOLZ, PAUL (1914): Die Bieblischen Altertümer. Calwer Vereinsbuchhandlung, Stuttgart. S.29

7) LUX, JOSEPH  AUGUST (1908): Hessische Landesausstellung Darmstadt 1908. In: Hohe Warte, 4. Jahrgang, Nr. 20, S. 304-308

8) BEIL, RALF und GUTBROD, PHILIPP 2013: Bernhard Hoetger. Der Platanenhain. Ein Gesamtkunstwerk auf der Mathildenhöhe Darmstadt. Hirmer, Darmstadt

9) ICOMOS (1987): Charta von Washington - Internationale Charta zur Denkmalpflege in historischen Städten, VIII. ICOMOS-Generalkonferenz, Information 2, Washington

10) DEUTSCHE UNESCO-KOMMISSION (2009): Welterbe-Manual – Handbuch zur Umsetzung der Welterbekonvention in Deutschland, Luxemburg, Österreich und der Schweiz, Deutsche UNESCO-Kommission e.V., Bonn

Autor:
Ehm Eike Ehrig

Jahr:
2018 (Darmstadt)

Typ:
Magazin

Verlag:
Patzer Verlag (Berlin / Hannover)

ISBN / ISSN:
0949-2305

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