Pressespiegel

Landschatsarchitekt plädiert im Parkpflegewerk für die Rekonstruktion der zentralen Wegebziehung

Darmstadt: Im Darmstädter Echo klingt im Titel des Zeitungsartikels die Verwunderung darüber an, ob mit der Verlegung des Nikolaiweges der richtige Weg bei der gartendenkmalpfegerischen Aufarbeitungder Mathildenhöhe eingeschlagen wird. Hintergrund ist die Beauftragung des Bielefelder Planungsbüros L-A-E LandschaftsArchitektur Ehrig, das für die Bewerbung um die Aufnahme der Darmstädter Mathildenhöhe in die Unesco-Weltkulturerbe-Liste die gartendenkmalpflegerische Expertise beisteuert.

Im Parkpflegewerk, das Dipl.-Ing. Ehm Eike Ehrig erarbeitet hat wurde deutlich, dass die Parkanlage auf der Mathildenhöhe einige ganz wesentliche Defizite aufweist, die für die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf einen Welterbestatus zu beheben sind. Soetwas zu hören ist selbstverständlich ebenso unerfreulich, wie Veränderungen von Gewohnheiten oder der Abschied von vermeintlichen Gewissheiten. Es gehört leider oftmals zur Arbeit eines Gartendenkmalpflegers über die Defizite historischer Parkanlagen sprechen zu müssen. Wäre dem nicht so, bräuchte ein Landschaftsarchitekt auch keine aufwendigen Bestandsanalyse und anlagengenetische Untersuchung für eine gartendenkmalpflegerische Zielplanung zu erstellen. Diese Mängel und Verluste sind meist schon seit langer Zeit spürbar oder sogar offensichtlich. Dem Denkmalpfleger kommt es jedoch zu den Finger in die Wunde zu legen und so maches Tabu offfensiv anzusprechen, - so geschehen beim Platanenhain und dem Nikolaiweg auf der Mathildenhöhe. Der Platanenhain, durch jahrzehntelange Fehl- und Übernutzung irreparabel geschädigt, muss grundlegend restauriert werden.


Und so resümiert die Tageszeitung denn auch „Auf Protest stießen seine Vorschläge für eine Verlegung des Nikolaiweges, der heute als breiter Aufgang mit grader Sichtachse entlang des Platanenhains zum Ausstellungsgebäude führt. Ehrig würde den Weg entsprechend der letzten Künstlerkolonie-Ausstellung so verlegen, dass der erste Blick auf das Albin-Müller-Becken und vor allem die Russische Kapelle fällt, die nicht zum Jugendstilensemble gehört.“ Dieses Unbehagen gegenüber der veränderten Perspektive auf der Mathildenhöhe resultiert aus dem Missverständnis um die Bedeutung der Kapelle.
Es war Joseph Maria Olbrich der in seiner Planung von 1901 erstmals die gestalterische Absicht ausdrückt, der russischen Kapelle einen Resonanzraum in Form eines Vorplatzes mit Brunnen zu verleihen und dieses architektonische Paar aus Bauwerk und Brunnen dadurch aufzuwerten, dass er den Nikolaiweg in einer großen Geste trompetenförmig öffnet, um exakt vom Öffnungspunkt aus eine Symmetrieachse als Blickbeziehung zur Kapelle einzuzeichnen. Die Aura, der immaterielle Kern im Sinne der vierten These des Welterbemanuals der deutschen UNESCO-Kommission, der für die Atmosphäre des Ortes so entscheidend und von der letzten Künstlerkolonie-Ausstellung 1914 bis Anfang der 1960er Jahre in seinen Grundzügen unversehrt geblieben war, wird in dieser Planung Olbrichs erstmals offensichtlich.


Doch die Stadt Darmstadt und das Land Hessen teilten vermutlich die Sorge, dass das Jugendstilensemble als Ort eines unvergleichlichen Aufbruchs in die Moderne, durch die altertümlich anmutenden Russische Kapelle gestört würde und im Gesamtbild eine noch dominantere Position bekommen könnte. Doch Stilreinheit, und das wissen wir spätestens seit der Kunsthistoriker Max Dvorák 1918 seinen Katechismus der Denkmalpflege veröffentlichte, ist kein Ziel der Denkmalpflege. Die Russische Kapelle stellt somit genausowenig einen Fremdkörper im städtebaulichen Jugendstilensemble dar wie der großartige, nach den Kriegen, hinzugekommene Bau des Ledigenheimes von Ernst Neufert am Aufgang zur Mathildenhöhe an der Pützerstraße. Vielmehr handelt es sich hierbei um ein städtebauliches Kontinuum. Doch die Diskussion um die Position der Russischen Kapelle auf der Mathildenhöhe ist bereits eine sehr alte, womit zumindest dieser Teil der Kontinuität wieder hersgestellt wäre. Schließlich sollte laut Scorzin (1999/2004) schon damals “das Wasserbecken vor der Kapelle (…) diesen Fremdkörper in das Jugendstil-Ensemble einbinden“, die Blickbeziehung sollte diese Einbindung bereits von weitem kommend deutlich werden lassen. Neben dem Platanenhain wurde der Brunnen als Olbrichs Idee durch Albin Müllers Verwirklichung und der Ausgestaltung des Bassins durch Bernhard Hoetger zum Lilienbecken eines der wichtigsten Elemente im Jugendstilensemble auf der Mathildenhöhe. Nicht die Kapelle ist also ein Teil des Aufbruchs in die Moderne, wohl aber die gestalterische Leistung von Größen wie Joseph Maria Olbrich, Bernhard Hoetger und Albin Müller, dieses als Fremdkörper empfundene Bauwerk in einen zeitgenössischen Kontext zu integrieren.


Die erfolgreiche Einbindung der Kapelle, die nunmehr laut Zeitgenossen Fuchs (1901) „nicht allzu störend“ empfunden wurde, obwohl Schmuck und Kuppeln aus „archaischer Formen-Sprache“ zu stammen scheinen, die in Fuchs Ausführungen als einer „wenig für eine Kirche geeigneten [Zutat]“ gebrandmarkt wurde, zeigt, dass sich das ambivalente Verhältnis gegenüber der russischen Kapelle auf der Mathildenhöhe seit jeher wie ein roter Faden durch die Darmstädter Stadtgeschichte zieht.
Die Charta von Washington (1987), auch Internationale Charta zur Denkmalpflege in historischen Städten genannt, beinhaltet zwei Grundsätze, die in Anwendung auf die Situation der Mathildenhöhe von besonderer Bedeutung sind. Das eine ist der Grundsatz 2 b). Dort wird postuliert: „Zu den Werten, die es zu bewahren gilt, gehören der historische Charakter und all jene materiellen und geistigen Elemente, in denen sich (…) die Beziehung zwischen Bauwerk, Grünfläche und Freifläche ausdrückt.“ Bezogen auf den Erinnerungswert sind die Beziehungsnetze des europäischen Hochadels eine immaterielle Kraft, die die Länder des 19. und Anfang des 20. Jhdt. zusammenrücken ließ und sich im Bauwerk der russischen Kapelle auf der Mathildenhöhe manifestierte. Die Blickbeziehung auf die Kapelle wiederrum ist Teil einer immateriellen Raumkomposition, die in ihrer Authentizität auch dort erhalten bleibt, wo eine Wegeverlagerung, ein Wechsel im Bodenbelag, ein Rasenstreifen oder eine Baumpflanzung von dieser historischen Realität ablenken könnten. Zur Thematik materieller Strukturen, die geistige Elemente in ihrem räumlichen Beziehungsgefüge neu verorten wollen und damit die Integrität eins historischen Freiraumes in Frage stellen und somit seine Authentizität bedrohen, steht im Grundsatz 10 der Charta v. Washington (1987) geschrieben: „Zeitgenössische Elemente können eine Bereicherung sein, soweit sie sich in das Ensemble einfügen.“
Die Überformung der 1960er Jahre innerhalb der Kernzone am Vorplatz zur russischen Kapelle fügt sich weder ein noch stellt sie eine gestalterische Vernbindung zur Raumkomposition der Zeitphase des Jugendstils dar. Dies ist vermutlich auch der tiefer liegende Grund dafür, dass es bereits in der Vergangenheit zur kritischen Rekonstruktion des Platzes an der Kapelle kam. Mit dieser Maßnahme wurde jedoch nur der halbe Weg beschritten. Die kegelförmige Mündung des Nikolaiweges in zentraler Ausrichtung auf die Kapelle steht indes aus, um die Unversehrtheit der geistigen Elemente erneut begreifbar und nachvollziehbar werden zu lassen und die Mathildenhöhe als Herzstück der Anlage wieder ersichtlich werden zu lassen. Denn die Mathildenhöhe ist ein Ort mit einer besonderen historisch begründbaren Aura, deren immaterielle Komponente die Bedeutung dieses außergewöhnlichen Ortes in sich trägt und gemäß der vierten These des Welterbemanuals der deutschen UNESCO-Kommission von 2009, ihren eigentlichen Kern darstellt.


Denkmalpflege kann letzten Endes aber immer nur das vollbringen, was im Rahmen eines gesellschaftlichen Kontextes möglich ist, bzw. woran sich die Gesellschaft erinnern lassen will – oder auch nicht. Zudem ist die Gartendenkmalpflege eine Disziplin der Abwägung unterschiedlicher Denkmalwert, die einander sogar entgegenstehen können. Und so gibt es keine reine Wahrheit des richtigen oder verfehlten Umgangs mit unserem kulturellen Erbe und keine letzte Gewissheit sondern „nur“ eine gesellschaftliche Verständigung darüber welche Bedeutung dieses Erbe für uns hat und wie wir Geschichte und geschichtsträchtige Orte für unsere Zukunft interpretieren wollen. Für die Mathildenhöhe in Darmstadt ging diese Verständigung erfolgreich aus, denn am Ende der Abwägung steht eine Zielplanung die im wahrsten Sinne des Wortes unterschieldiche Perspektiven auf die Mathildenhöhe umfasst und zu einem Ausgleich führt, damit der Jugendstil auf der Mathildenhöhe mit seinem Geist des Aufbruchs für die Zukunft ablesbar und erlebbar erhalten wird.

Veröffentlicht am:
23.03.2017

Autor:
Annette Krämer-Alig

Herausgeber:
Darmstädter Echo

Stichworte:
Darmstadt, Denkmalpflege, Dvorák, Ehrig, Gartendenkmalpflege, Hoetger, Jugendstil, LandschaftsArchitekten, Landschaftsarchitekt, Mathildenhöhe, Neufert, Olbrich, Parkanlage, Parkpflegewerk, Platanenhain, Zielplanung

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