Publikation

Distanzierte Erinnerung an Fernost


Buchtitel: Hinter meiner Hecke - Gartenarchitekten zeigen ihre Gärten

Der Garten von Christhard Ehrig am Teutoburger Wald

Schön ist es, durch den Garten zu gehen. Am liebsten auf Wegen, auf nicht zu tief abgestreutem, nicht zu scharfkantigem Splitt. Sandsteinsplitt ist ideal, in kleiner Körnung. Natursteine tun es auch, aus Granit möglichst, vielleicht mit etwas Patina an den Rändern, aber nicht in der Laufspur. Rutschgefahr. Der gärtnernde Mensch braucht Wege und oft nimmt er es genau. Zwischen Erhalten und Gestalten ist er ständig beschäftigt, sein Handwerk vollzieht sich im unentwegten Lösen von Konflikten. Dabei holt er sich den Konfliktstoff selbst aus fernen Ländern, Spezialgärtnereien und Pflanzenbörsen nach Hause: Die Pflanze, mal ob ihrer Anmut verehrt, mal ob ihres Eigensinns verteufelt. Natürlich, es gibt die verlässlichen Vertreter, die brav an einem Ort bleiben, vor sich hin gedeihen, sich im Winter zurückziehen, um genau dort Monate später erneut durch die Krume zu stoßen. Von anderen wissen wir, dass wir sie im Zaum halten müssen und von wieder anderen, dass sie schleunigst aus dem Garten verbannt gehören. Was nun aber den Gartenarchitekten gleichermaßen fasziniert und Nerven raubt, sind die heiklen Spezies. Als Beispiel nehmen wir die Akelei. Wie der Mensch wandert sie gern durch den Garten, freilich ohne dabei Wert auf Wege zu legen. Und, was zudem zu Zweifeln führen kann, sie hält sich nicht an Abmachungen bezüglich ihres Aussehens, kurzum: Auf die Akelei ist kein Verlass. Wir gehen durch den Garten von Christhard Ehrig, wo die Akelei außerordentlich eindrucksvoll ihren Lebensstil zeigt. Sie wird dort selbst zum Sinnbild einer Strategie, mit der Ehrig die Geschicke seines Gartens lenkt. Zwei Exemplare, Aquilegia vulgaris und Aquilegia atrata in Blau und Rot, setzte er in den achtziger Jahren, als sein Garten den Anfang nahm. Heute sind es über fünfzig Pflanzen, in Farben und Formen, die so zufällig scheinen wie die Wege und Landeplätze der Insekten. Ob sie an ihrem Standort passen, muss immer wieder neu überlegt werden. Gerade die knallig rot-gelben, die, wie sich Johannes Roth in seiner »Gartenlust« passend ausdrückt, ausschauen wie die Straßenkreuzer in den fünfziger Jahren, wird man im Auge behalten müssen. Ehrigs Strategie könnte man zusammenfassend eine immerwährende Erlaubnis nennen, aus einem Ordnungssystem auszubrechen. Dieses System - aus den Gebäudekanten entwickelte Rollschichten, daran angelehnt Wege, Mauern, kleine Plätze, ein Wasserbecken - ist kräftig genug, um den Pflanzen darin viel Bewegungsfreiheit lassen zu können, ohne dass der Eindruck entsteht, man hätte die Lage nicht im Griff. Oxalis, den Sauerklee, ließ Christhard Ehrig zunächst gewähren, Petasites, die Pestwurz, ebenfalls. Hier am Waldrand auf hohem Grundwasserstand führen Experimente mit Wildpflanzen bald zu der Entscheidung: ganz oder gar nicht. Dem Gartenarchitekten geht es in seinem etwa 700 Quadratmeter großen Garten um Vielfalt, um das Ineinanderweben der Pflanzen und das Überspielen von Kanten, ohne diese völlig zu überdecken. In das Ordnungsmuster aus Stein fügen sich die geschnittenen Buchskugeln dienlich ein. Sie unterstützen es als Wegeposten und als starre Figuren, die den Blick fangen.

 

Sie lenken von ihm ab, weil sie steinerne Kreuzungspunkte überwachsen. Sie stellen sich dem Betrachter in den Blick, bieten zudem hellblütigen Pflanzen einen Hintergrund. Geradezu brillant wirken sie zusammen mit der vielstämmigen Nothofagus, der Scheinbuche, die als kleiner Hain das Zentrum des Gartens bildet. Das schlichte rechteckige Wasserbecken daneben, die Buchskugeln dahinter, der Staudenrasen darunter, vereinzelte Felsen wecken eine Stimmung, die an Fernost denken lässt. Doch macht sich Ehrig nicht des Kopierens japanischer Garten verdächtig. Steinlaternen fehlen, ebenso der geharkte Kies, der Ahorn, die bizarre Kiefer, Gräser. Der Garten lässt sich in Ruhe betrachten, aber die Fülle - sprich die fehlende Leere - stehen einer buddhistischen Akklimatisierung im Wege. Es sind die zahlreichen einzelnen Elemente, an denen man sich eine Weile verlieren kann, die geschickt angeordnet in einem großen Ganzen stehen: teils von Ehrig selbst gefertigte Steinfiguren, der Wasser speiende Löwenkopf im Löwenhof, das Sukkulentenbeet am Haus, daneben das riesenblättrige Schildblatt Darmera peltata am Wasserbecken. Im rechten Winkel zum Haus liegend bildet es eine der wertvollen geometrischen Elemente des Gartens, an denen die Pflanzen wirken können. Das Becken liegt am tiefsten Punkt des Gartens, nach außen modellierte Ehrig das Grundstück leicht an. So entstand eine unterbewusst wirkende Außengrenze, ein leicht bewegtes Relief, in das sich gelegentlich eine markante Stufe einfügen ließ. Schön ist es hier, durch den Garten zu gehen. Im kommenden Jahr werden sich der Wald-Scheinmohn oder die Mandelblättrige Wolfsmilch neue Plätze gesucht haben. Die Akelei auch – wieder in neuen Farben.

Autor:
Stefan Leppert

Jahr:
2005

Typ:
Buch

Verlag:
Deutsche Verlagsanstalt GmbH (München)

ISBN / ISSN:
3-421-03482-6

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