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Städtebauliches Denkmal im Klimawandel - Klimaanpassungsstrategie für das Mindener Glacis


Die Mittelstadt Minden mit gut 80.000 Einwohnern bildet am Durchfluss der Weser durch das Wiehengebirge mit ihrer Porta Westfalica einen markanten Grenzpunkt zwischen Niedersachsen bzw. dem früheren Königreich Hannover und Nordrheinwestfalen, der damaligen preußischen Provinz Westfalen. Das preußische Erbe ist bis heute in Minden allgegenwärtig, da Minden durch seine landschaftliche Lage lange Zeit eine militärstrategisch wichtige Garnisonsstadt war. Noch heute prägt das Glacis als geschliffene Verteidigungsanlage, die sich über eine Länge von 3 Kilometern um die historische Altstadt herumzieht und je nach Glacisabschnitt zwischen 25 m und 175 m breit ist, die Stadt Minden und verleiht ihr als grüner Ring eine außergewöhnliche Lebensqualität.1)


Im Gegensatz zu vielen Promenaden, die nach dem Abbruch von Festungsanlagen in deutschen Städten angelegt und spätestens in der Nachkriegszeit zu Verkehrsringen überformt wurden, konnte der Grünring in Minden kontinuierlich als Parkanlage fortbestehen, nur durchkreuzt von verschiedenen Einfallstraßen. Angesichts klimawandelbedingter Herausforderungen, die die stadtklimatischen Aufheizungsprozesse zusätzlich verstärken, ist die kühlende stadträumliche Ringstruktur für die Gesundheit der Mindener von unschätzbarem Wert - ein hilfreiches Vermächtnis aus der Vergangenheit für die Sicherung der Zukunft. Doch das war nicht immer so. Einst blockierte die Festungsanlage die industrielle Entwicklung der Stadt und führte dazu, dass sich Bielefeld anstelle von Minden zum Oberzentrum Ostwestfalens entwickelte. Denn in der Zeit, als die Festungen überall in Deutschland in Promenaden umgewandelt wurden, nahm Minden die entgegengesetzte Entwicklung. Grund für diesen Sonderweg in der deutschen Stadtentwicklung war, dass Friedrich der Große seiner Zeit zu weit vorausgriff, als er nach dem Siebenjährigen Krieg 1764 entschied, den Festungsstatus für Minden aufzuheben. Er befahl, Gärten und Parkanlagen auf den einstigen Verteidigungsanlagen anzulegen. Doch die Koalitionskriege gegen Napoleon belehrten die damaligen Militärs eines „Besseren“. So kam es, dass in einer Zeit, in der überall Festungen in Promenaden umgewandelt wurden, in Minden die Zeit zurückgedreht wurde und eine Neubefestigung mit Ausbau der Fortifikation stattfand. Von 1816 an bis zum Situationsplan von Pagenstecher 1837, der das Ergebnis des erfolgten Ausbaus darstellt, wurden bei dieser Gelegenheit neben der baulichen Neubefestigung auch viele Gehölze, Bäume und Büsche in den Glacisanlagen gepflanzt, um ein Eingraben feindlicher Truppen im Ernstfall zu erschweren und den Angreifern die freie Sicht auf das Festungsbauwerk zu verstellen. Hierdurch entstand ein wichtiger Grundstock von Bestandsbäumen, die bis in unsere Gegenwart das Bild der heutigen Glacisanlagen als Waldpark prägen. 2)


In der Zeit der Kommunalisierung preußischer Besitztümer zwischen 1875 bis 1890 wollte der preußische Staat nach den deutschen Einigungskriegen finanzielle Mittel einsparen und veräußerte 1878 auch die Fortifikationsanlagen Mindens. Damit war der Weg für eine neue städtebauliche Entwicklung frei und aus den Glacisanlagen wurde von den Gartenkünstlern Georg Tattar und Julius Trip ab 1891 ein Parkwald gestaltet.3) Der Festungsgürtel mit seinen Wällen, Bastionen und Ravelins schränkte zuvor nicht allein durch lästige Torkontrollen und Schließzeiten die Bewegungsfreiheit der Bürger ein, sondern hinderte Handel und Gewerbe über Jahrzehnte daran, eine prosperierende Entwicklung zu nehmen.4) Minden hätte als Stadt aufblühen können, doch der Zug der Industrialisierung war erst einmal abgefahren und es folgten bald nach Fertigstellung des Grünrings der 1. Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise, der 2. Weltkrieg und schließlich die Nöte der frühen Nachkriegsjahre. Das städtebauliche Korsett der Festungsanlagen hatte neben dem wirtschaftlichen Aufstieg auch die Herausbildung einer gründerzeitlichen Neustadt, wie es sie in vielen anderen Städten gab, unterbunden. Doch heute bildet diese städtebauliche Entwicklungsverzögerung einen unschätzbaren Vorteil. Denn eine Stadtautobahn oder ein Altstadtringkorso wurde nie benötigt und somit nicht gebaut. Die Bäume im Glacis konnten sich über lange Zeit entwickeln und bilden heute einen teilweise dichten, hochgewachsenen innerstädtischen Wald, der mit seinen gut 3.000 Bäumen eine wichtige Kühlungsfunktion für das Stadtklima übernimmt.

Es könnte somit alles gut und schön für Minden sein. Ist es jedoch nicht, - denn die klimawandelbedingten Belastungen liegen schwer auf der Zukunftsperspektive bzw. der ökologischen Elastizität der Mindener Glaciswaldungen. Historische Anlagen sind gegenüber klimawandelbedingten Änderungsprozessen oft besonders empfindlich, da sie vielfach intensiv genutzt werden und häufig durch einen Pflegerückstand ihrer Gehölzbestände gekennzeichnet sind. Beides trifft für die Mindener Glacisanlage zu. Für die heimischen Baumarten sind die klimatischen Änderungsprozesse insgesamt eine große Herausforderung, was naheliegend ist, da die klimatischen Klimaxgesellschaften als zonale Vegetationseinheiten auf das Engste an die Klimazonen gebunden sind. Denn die heimische Vegetation mit ihren Wäldern ist Ausdruck des Allgemeinklimas, das in der betreffenden Zone herrscht. 5) Ändert sich das Klima muss sich die Vegetation also zwangsläufig mit ändern. Das dies für die betreffenden Generationen, die diesen Wandel hautnah miterleben müssen, zu einem Verlust von Heimat führt, lässt sich bereits erahnen, wenn wir durch die abgestorbenen Fichtenwälder wandern und aufmerksam das Absterben unserer Buchenwälder registrieren. Was zu unserem landschaftlichen Heimatverlust führt, verdichtet sich wie unter einem Brennglas in historischen Parkanlagen. Denn hier haben wir auf dichtem Raum überproportional viele Altbäume, die überwiegend aus unseren heimischen Klimaxgehölzarten wie Eiche, Buche und Linde aufgebaut sind. Überdies bekommen Bäume in diesen Parkanlagen Dürreperioden und Hitzestress eher zu spüren als Gehölze in der freien Landschaft, da viele historische Parkanlagen in urbanen Siedlungsräumen von stadtklimatischer Überwärmung betroffen sind und unter eutrophierten Standorten zu leiden haben.6) Für die gesellschaftliche Konzeption von Heimat bilden daher historische Parkanlagen genau wie historische Bauwerke ein wichtiges identitätsstiftendes Fundament.


In den Mindener Glacisanlagen entstammen gut 40 % der Gehölze den Zeitphasen zwischen 1764 bis 1924 und bilden den Altbaumbestand. Es handelt sich hierbei überwiegend um Buchen und Eichen sowie wenige Linden und Kastanien. In der ab 1925 sich anschließenden Verfallsphase wird der nachwachsende Gehölzbestand hingegen zu knapp 60 % von sukzessiven Gehölzarten dominiert. Im Wesentlichen Spitz- und Bergahorn, die zur Bestandsverjüngung angesichts des Klimawandels wenig geeignet sind und einen ausfallenden Altbaumbestand nicht ersetzen könnten.


Eine wesentliche Erkenntnis des 2018 bis 2019 erstellten Pflege- und Entwicklungskonzeptes für die Mindener Glacisanlagen war es denn auch, in der vegetationsökologischen Analyse der Unterwuchsstrukturen zu zeigen, dass der hohe Deckungsgrad eutrophiler Kräuter eine überhöhte Stickstoffkonzentration des Bodens anzeigt. So wird ein Drittel der Krautschicht im Glacis von nur zwei, von Ellenberg als Verschmutzungsanzeiger titulierten Arten dominiert, wohingegen ein zweites Drittel der Krautschicht von fünf ausgesprochenen Stickstoffzeigern bewachsen wird.7) Aus diesen stickstoffüberfrachteten Standorten resultiert ein Konkurrenzdruck, der Schattholzarten wie die genannten Ahornarten fördert und damit indirekt beschattungssensible Lichtholzarten wie Trauben- und Stileiche gefährdet. Diese Eichen sterben in Folge des Konkurrenzdrucks als hochgeastete Altbäume ab, um dicht hochgedrückten und damit instabilen Gehölzbeständen zu weichen. Diese haben dann Trockenperioden oder Stürmen wenig entgegenzusetzen und knicken mitunter wie Streichhölzer ab.

Ein Dilemma bei der Durchsetzung der beschriebenen Maßnahmen ist, dass die Umweltgesetzgebung der progressiv voranschreitenden Entwicklung des Klimawandels hinterherhinkt. Vielfach fallen historische Anlagen wie das Glacis in Minden neben der Denkmalschutzgesetzgebung auch als Landschaftsschutzgebiete, geschützte Landschaftsbestandteile oder sogar Naturschutzgebiete unter das Bundesnaturschutzgesetz oder eventuell zusätzlich unter die Forstgesetzgebung. Das ist zwar grundsätzlich begrüßenswert, führt jedoch im Einzelfall dazu, dass sogenannte Klimawandelgehölze planerisch schwer durchzusetzen sind und sogar die Ausholzung von sukzessierten Ahornbäumen zugunsten wertvoller alter Lichtholzarten eine planerische Hürde darstellen kann. Doch was helfen uns am Ende autochthone Herkünfte heimischer Baumarten, wenn sich die klimatischen Klimaxgesellschaften Richtung Norden verschieben? Ist es zweckmäßig, stoisch an einem geliebten und vetrautem Landschaftsbild festzuhalten, wenn sich die klimatischen Voraussetzungen hierfür grundlegend verändern? Wenn wir Bäume einplanen, insbesondere in historischen Parkanlagen, sollten wir einen Zeithorizont von mindestens 100 Jahren in Betracht ziehen können. Zugleich sind Entwicklungen zu beobachten, die darauf hindeuten, dass bereits 2030 die globalen Temperaturen im Mittel zwischen 1,8 °C bis 3,6 °C höher liegend könnten als die präindustriellen Bezugswerte. Die maximalen Kohlendioxidwerte von 400 ppm, die in der Warmzeit des Pliozäns erreicht wurden, sind bereits heute überschritten und in diesem Erdzeitalter lebten Giraffen und Vorfahren der Antilopen in Europa.9) Sich angesichts dieser Aussichten von Gehölzen des Alpensüdrandes und Balkans abschrecken zu lassen, wird der Zukunft unserer Heimat nicht gerecht und erweist der ökologischen Elastizität und somit dem Naturschutz einen Bärendienst. Wir brauchen eine breitere Baumartenvielfalt der neu zu gestaltenden Parkanlagen sowie der historischen Anlagen gleichermaßen, um eine zukunftsbeständige Entwicklung unserer urbanen und landschaftlichen Freiräume einzuläuten. Das Bundesnaturschutzgesetz ist diesbezüglich auf den Prüfstand zu stellen, damit erforderliche Maßnahmen der Klimawandelfolgeplanung in der Umsetzung erleichtert bzw. ermöglicht werden. Dies gilt auch für die Forstgesetzgebung, die in weiten Teilen noch auf die Landesforstgesetzgebungen des 19. Jhds. zurückzuführen sind, in der es darum ging, die Böden zu verbessern, damit die Zuwächse optimiert werden konnten.10) Es kann als Anachronismus gelten, dass im Naturschutz das Abmagern von Wiesen ein fester Bestandteil naturschutzfachlicher Maßnahmen darstellt, eine erforderliche Laubstreuentnahme von Waldböden jedoch unter Verweis auf die Forstgesetzgebung vielfach unnötig erschwert oder sogar unterbunden wird.  

Hier gibt es also noch viel Aufklärungsarbeit in Politik und Gesellschaft zu leisten, ehe wir an dem Punkt ankommen werden, an dem wir jetzt bereits besser sein sollten. In Minden war die intensive Bürgerbeteiligung und Einbeziehung der Politik und gesellschaftlicher Gruppierungen im Rahmen der Erarbeitung der Pflege- und Entwicklungsplanung erfolgreich, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass Fördergelder über 7,0 Mio. € für die Maßnahmen des Pflege- und Entwicklungskonzeptes bewilligt wurden. Die Bundestransferstelle Städtebaulicher Denkmalschutz hat das Konzept unter dem Thema „Klimaschutz und Anpassung an die Folgen des Klimawandels in historischen Stadtquartieren“ sogar als eines von bundesweit drei Best-Practice Beispielen auf der Webpräsenz der Städtebauförderung benannt.

Damit ist die Stadt Minden mit ihrer Glacisanlage ihrer Zeit zum zweiten Mal voraus, seit Friedrich der Große 1764 den Festungsstatus aufhob und Gärten und Parkanlagen anlegen ließ. Diesmal wird der Klimawandel kein Zurück zulassen.



1)    STADT MINDEN (2017): Denkmalkarte 720. Glacisanlagen in Minden. 09.02.2017
2)    EHRIG, E. E.  (2019): Pflege- und Entwicklungskonzept Glacis Minden. Stadt Minden, Stadtplanung und Umwelt. L-A-E Bielefeld
3)    TATTER, G., TRIP J. (1891): Gutachten betreffend die Ausgestaltung der städtischen Anlagen in Minden. 07.10.1891
4)    KORN, ULF-DIETRICH 2005-1: DIE FESTUNG VOM DREIßIGJÄHRIGEN KRIEG BIS ZUR AUFHEBUNG IM JAHR 1873. IN: BAU- UND KUNST-DENKMÄLER VON WESTFALEN (HRSG. LANDSCHAFTSVERBAND WESTFALEN-LIPPE, WESTFÄLISCHES AMT FÜR DENKMALPFLEGE). BAND 50 / TEIL I: STADT MINDEN. EINFÜHRUNGEN UND DARSTELLUNG DER PRÄGENDEN STRUKTUREN. TEILBAND 2: FESTUNG UND DENKMÄLER. KLARTEXT VERLAG, MINDEN, S. 26-67
5)    ELLENBERG, H. (1982): Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen in ökologischer Sicht. Stuttgart: Eugen Ulmer GmbH & Co., S. 73
6)    SUKOPP, H., WITTIG, R. (1993): Stadtökologie. Ein fachbuch für Studium und Praxis. Ulm: Gustav Fischer Verlag. S. 136
7)    ELLENBERG, H. 1992: Band  18 Scripta Geobotanica. Zeigerwerte von Pflanzen in Mitteleuropas. Göttingen: Verlag Erich Goltze KG S. 69f.
8)    DIRSCHKE, H. (1994): Pflanzensoziologie.Grundlagen und Methoden. Eugen Ulmer GmbH & Co., S. 417
9)    BURKE, K.D., ET AL. (2018): Pliocene and Eocene provide best analogs for nearfuture climates. PNAS Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America. In Internet: doi.org/10.1073/pnas.1809600115
10)    LANDESFORSTGESETZ FÜR DAS LAND NORDRHEIN-WESTFALEN (LANDESFORSTGESETZ - LFOG), Bekanntmachung der Neufassung vom 24.04.1980. §10 (Fn 6) Grundsätze (§11 Bundeswaldgesetz) Abs. 1

Autor:
Ehm Eike Ehrig

Jahr:
2021 (Minden)

Typ:
Magazin

Verlag:
Patzer Verlag (Berlin - Hannover)

ISBN / ISSN:
0948-9770

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