Publikation

Die Geschichte der Rekonstruktion des Barockgartens von Paderborn – Schloss Neuhaus


Buchtitel: Botschaften zur Gartendenkmalpflege

Nur wenige Barockgärten haben bis in unsere Zeit authentische Strukturen und Details bewahrt. Durch historische Pläne, Kupferstiche, Musterbücher und zeitgenössische Beschreibungen – 1731 Die Gärtnerey, Alexander le Blond – wissen wir, wie die Gärten der Barockzeit aussahen und aus welcher Weltsicht heraus ihre Gestaltung entstand. Es ist jedoch etwas ganz anderes, einen authentisch wieder hergestellten Barockgarten zu erleben. Besonders beeindruckende überkommene Anlagen sind die Gärten von Schwetzingen und Het Loo. Hier waren die Grundstrukturen noch weitgehend erhalten, bzw. wie in Het Loo nur mit Boden überdeckt. Nach gartendenkmalpflegerischen Prinzipien konnten diese Barockgärten wieder authentisch erlebbar gemacht werden. In Schloss Neuhaus fand ich eine gänzlich andere Situation vor: Nur das Wasserschloss mit einer formlosen Gräfte, der sehr baufällige Marstall und der verlegte Lippeflusslauf als Begrenzung des Parks waren aus der Barockzeit noch sichtbar. Darüber hinaus wurden im 19. und 20. Jahrhundert unterschiedliche Gebäude im Park und sogar im Parterre errichtet: Manufakturgebäude (heute Bürgerhaus), Reithalle und ein viergeschossiges Kasernengebäude. Zusätzlich zog nach dem II. Weltkrieg die Realschule ins Schloss und im Park wurden eine Gesamtschule und ein Gymnasium errichtet. Im Zuge des Wettbewerbs für die Landesgartenschau Paderborn Schloss Neuhaus sollte der verbliebene, verwilderte Schlosspark mit seinen eingefügten Gebäuden gartendenkmalpflegerisch überplant werden. Zur Zeit des Wettbewerbs (1986) war als Quelle zur Überarbeitung des Schlossparks nur der Kupferstich von F. C. Nagel aus der „Liborius-Festschrift“ von 1736 übermittelt worden. Man konnte jedoch nicht davon ausgehen, dass dieser Kupferstich in seiner aufwändigen Form tatsächlich gebaut worden war. Mein Wettbewerbsbeitrag sah vor, die Grundstrukturen – wie Gräfte, Wegeachsen, Rasenbänder und Baumalleen – wieder sichtbar zu machen, damit das dann freigestellte Schloss eine angemessene Resonanzfläche erhielt. Dieser zurückhaltende Umgang mit der Historie fand die Zustimmung des Preisgerichts, dem auch Herr Gustav Wörner, Mitglied des „AK Historische Gärten“ angehörte. So wurde ich nach dem Wettbewerbsgewinn 1986 im Jahre 1989 mit der Gesamtplanung der Landesgartenschau beauftragt. Kurz zuvor hatte der Heimatverein von Schloss Neuhaus einen farbigen Lageplan des Schlossgartens im Bischöflichen Archiv wieder entdeckt, der sich als authentischer Aufmaßplan von 1753 des Geometers Phielip Sauer erwies. Auf dieser Grundlage entstand die Forderung des Bauherrn, den Barockgarten nach Sauers Bestandsaufnahme zu rekonstruieren. Mit meinem Einwand, dass das Parterre, wenn überhaupt, nur als Teilrekonstruktion herstellbar sei, wurde mir vorgeschlagen, man könne das Parterre doch ca. 20 % verkleinern, um es passend einzufügen. Dies zeigt, mit welcher Naivität dieses Vorhaben eingeleitet wurde. Es gab für mich nur die Möglichkeit, alle Quellen auszuschöpfen, um von den Grobstrukturen bis zum Detail eine vertretbare, authentische Teilrekonstruktion zu erreichen. Bauherr des Barockgartens war Fürstbischof Clemens August von Bayern (1700 - 1761). Die Planung und der Bau des Gartens wurden ca. 1725 gleichzeitig mit dem Bau des Marstalls begonnen. Um die gewünschte Dimension des Gartens bauen zu können, ließ der Fürstbischof die Flüsse Alme und Lippe umlegen. Für die Anlage des Gartens wurde der berühmte Gartenkünstler Hofkammerrath Hatzel aus Wien hinzugezogen. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts und der Säkularisierung verfiel der Garten in wenigen Jahren. Fast zwei Jahrhunderte nutzte das wechselnde Militär die Schlossinsel mit ihrem Park. Die Gräfte wurde zur Pferdetränke und das Parterre diente nach dem Verkauf der Maßwerke als Reitplatz. Die Strukturen des Barockgartens waren in kurzer Zeit zerstört. Das Urkataster von 1829/30 zeigt nur noch die historischen Gräftenfluchten. Die Architektur des Gartens ist nicht mehr erkennbar. Die Arbeit begann mit der Auswertung des gebauten Original-Aufmaßes von Phielip Sauer 1753 und der detektivischen Suche nach dem richtigen Fußmaß unter den ca. 70 gebräuchlichen mitteleuropäischen Einheiten. Die Übersetzung des zeitgenössischen Fußmaßes in unser heutiges metrisches Maß gelang nach Sichtung aller Quellen der verschiedenen Zeitabschnitte bis hin zum Urkataster. Das Fußmaß konnte ich mit 0,296 m (Wiener Fußmaß) ermitteln. Die Längen der Haupt- und Nebenachsen sowie unterstützende gartendenkmalpflegerische Grabungen zur Auffindung der Gräftenumrisse bewiesen vor Ort diese Maßeinheit. Eine weitere Bestätigung für die Richtigkeit des Maßes war die Tatsache, dass der Gärtner Hatzel aus Wien kam. Bauliche Anlagen wie das Bürgerhaus und die Schulen ließen eine vollständige Rekonstruktion des Schlossgartens nicht zu. Mit der Teilrekonstruktion konnten nur bestimmte Grundstrukturen des Barockgartens authentisch wiederhergestellt werden:

- die das Wasserschloss umschließende Gräfte

- die seitlichen Rasengürtel mit den begleitenden Wegeachsen und Lindenalleen

- sowie das Parterre à I'angloise

Das Herzstück des Barockgartens ist das Parterre à I'angloise, ein Parterre mit englischen Einflüssen, das neben buxusgefassten Blütenrabatten, vegetablen Broderieausschmückungen, Kiesflächen und Fontänenbrunnen auch Rasenflächen in das Parterre integriert. Die Parterredetails, die Broderieornamente und die Muschelmotive waren nur nachrichtlich dargestellt. Über zeitgenössische Musterbücher konnten die Motive nachvollzogen und konstruiert werden. Herrn Prof. Dr. Jörg Gamer, der damals in Hannover lehrte, habe ich die Broderierekonstruktion vorgestellt. Er hat sie unverändert zertifiziert. Nachdem plötzlichen Tod von Herrn Gamer konnte ich Fachprobleme mit Herrn Wörner diskutieren und abstimmen. Mit einem harten Schnitt musste die authentische Rekonstruktion vor dem Bürgerhaus abgebrochen werden. Die Ausläufer der Parterrerabatten erhielten eine Nachbildung mit Basaltpflaster. Die Recherchen zur authentischen Bepflanzung der als „Eselsrücken" ausgebildeten Rabatten und Voluten stellten sich als problematisch heraus. Eine Pflanzenliste des „Inventariums" von 1783 weist Gehölze, Kübelpflanzen, sowie Zwiebelpflanzen, Stauden und Sommerblumen aus, die jedoch als Bepflanzungsgrundlage nicht ausreichten. So konnte ich nur auf Pflanzenzusammenstellungen der Forschungsergebnisse von Schwetzingen (H. W. Wertz 1982) zurückgreifen mit den heute zur Verfügung stehenden Pflanzen nach A. J. Dezallier d'Argenville (1760). Die Wechselbepflanzungen des Frühjahrs-Rapportes von 5 m und des Sommer-Rapportes von 4 m wurden den buxbaumgefassten Rabatten von Schloss Neuhaus angepasst. Die verkürzte Mittelachse des Gartens sollte eigentlich vor einer senkrechten Spiegelwand einer neuen Café-Orangerie enden, um der Hauptachse wieder Ziel und doppelte Tiefe zu verleihen. Aus Kostengründen entstand nur die Spiegelwand mit Brunnenbecken. Der Oktogongrundriss des dahinter liegenden Brunnentheaters transportiert mit seinem Umfang die Dimension der nicht wieder herstellbaren Mittelfontäne. Mit der vorbereitenden Arbeit zur Wiederherstellung des Barockgartens von Schloss Neuhaus erinnerte man sich in Paderborn an zwölf Hermen aus dem Park, die anlässlich einer Clemens-August-Ausstellung nach dem Kriege nach Augustusburg gelangten. Aus Kostengründen wurden diese authentischen Kunstwerke nicht nach Schloss Neuhaus zurückgeführt. Durch den Kontakt zu Herrn Dr. Wilfried Hansmann konnten die Hermen mit der Darstellung der zwölf Monate von Theodor Axer (1700 – 1764) als offizielle Dauerleihgabe des Landes NRW durch den damaligen Ministerpräsidenten, Johannes Rau, wieder in den Schlosspark zurückkehren. (Von Theodor Axer existiert in Vinsebeck auch noch ein sehr schön gearbeiteter Neptunsbrunnen.) Die Hermen konnten jedoch ihre Originalstandorte im Bereich der ehemaligen Traillagen nicht wieder einnehmen, da in diesem Bereich heute das Bürgerhaus steht. Mit der Teilrekonstruktion, die von der Fachwelt zunächst kritisch betrachtet wurde, war es möglich, dem Wasserschloss wieder ein authentisches Umfeld zu geben und Besuchern den originalen Eindruck eines Barockgartens zu vermitteln. Für Touristen der Stadt Paderborn ist der Barockgarten ein zusätzliches kulturelles Erlebnis und ein Anstoß, auch historische Gärten als Kulturerbe zu begreifen und damit das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Gartendenkmalpflege zu entwickeln.

Autor:
Christhard Ehrig

Jahr:
2005

Typ:
Buch

Verlag:
DGGL e.V. (Berlin)

ISBN / ISSN:
k.A.

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