Publikation

Barockgarten und Paderaue – Die Landesgartenschau Paderborn 1994


Zeitschrift: Neue Landschaft

Vom Padersee in Paderborn bis hin zur Almeaue hinter dem Schlosspark in Schloss Neuhaus zieht sich die Landesgartenschau 1994. Im Rahmen des städtebaulichen Grünkonzeptes wird damit die Innenstadt von Paderborn vom Padersee aus über den Ortskern von Schloss Neuhaus mit dem Lippesee zu einem großräumigen Naherholungsgebiet verbunden.

Barockgarten als Mittelpunkt

Der rekonstruierte Schlossgarten mit Gartenparterre und Lindenallee wurde in Anlehnung an die verschiedensten alten Pläne nachgebildet. In seiner Mitte steht als Wahrzeichen der Landesgartenschau das wasserumflutete Renaissance Schloss in Schloss Neuhaus, einem Vorort von Paderborn.

Der alte Schlossgarten an gleicher Stelle wurde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts angelegt. Um ausreichend Platz zur Verfügung zu haben, ließ der Bauherr, Fürstbischof Clemens August von Bayern, sogar Alme und Lippe in diesem Bereich verlegen. Heute steht nun der Platz zwischen dem Schloss und dem Bürgerhaus für die Rekonstruktion des Gartens zur Verfügung, so dass nur die vordere Hälfte des historischen Gartens wiederhergestellt werden kann. Die genaueste Wiedergabe des alten Gartens stellt ein Plan von Phielip Sauer aus dem Jahre 1753 dar. Dieser Plan wurde als Grundlage für die Rekonstruktion genommen. Ein klassisches Rasenparterre, so wie es jetzt am Neuhauser Schloss entsteht, ist in keinem anderen erhaltenen oder wiedererstellten historischen Garten in Mitteleuropa zu finden. Die Rekonstruktion des historischen Barockgartens in Schloss Neuhaus wurde deshalb von Experten ausdrücklich begrüßt.

Das Hauptmerkmal des barocken Gartens ist sein streng geometrischer Aufbau. Spiegelbildlich liegen die beiden großen Gartenhälften beidseitig der Hauptachse. In jeder Hälfte befindet sich ein nach historischem Vorbild gebauter Brunnen mit einer 5 m hohen Fontäne. Die Rasenflächen werden durch niedrige Buchshecken eingerahmt, welche in geschwungenen Figuren auslaufen. Filigrane muschelförmige Ornamente sind kunstvoll aus niedrigen Buchshecken angelegt. Hier werden mit buntem Kies farbige Akzente gesetzt, da Blumen die niedrigen formgebenden Hecken überwachsen würden. Beide Parterrehälften werden durch eine blühende, wiederum mit Buchs eingefasste Rahmenrabatte umschlossen. Kegel und Kugeln aus Taxus und Buchsbaum setzen vertikale Akzente im Barockparterre. Den Abschluss des Parterres, gleichzeitig den Übergang zum etwas nüchternen Bürgerhaus bildet das neu gebaute „Brunnentheater". Das Brunnentheater ist begehbar und erlaubt den Besuchern den Blick von oben auf den Barockgarten; ein Angebot, das sich wohl kaum ein Besucher entgehen lassen wird. Doch das Parterre à l'angloise bildet nicht allein die barocke Gartenanlage am Neuhäuser Schloss. Die Lindenalleen an den Längsachsen des Parterres gehören ebenso dazu wie die im letzten Jahr rekonstruierten Schlossgräfte. In diesen Bereichen wurden alle erhaltenswerten Bäume in die Gartenplanung mit einbezogen. Man findet deshalb alten Baumbestand inmitten der Alleen, die mehr als 100 junge Linden umfassen. Auch die historischen Böschungen der Gräfte wurden im Bereich der Wurzelteller des bestehenden Baumbestandes nicht realisiert, sondern hier vorerst nur durch die umlaufende Taxushecke angedeutet.

Probleme bei der Überleitung aus ehemals britischer Militärnutzung brachten Zeitverzögerungen mit sich. So wurde am Parterre im November 1993 noch intensiv gearbeitet Mitarbeiter der Firma Verler Gartenbau GmbH, Mitglied des Verbandes Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Westfalen-Lippe, machten mit verzinkten Bandstahleinfassungen die zukünftigen Strukturen sichtbar. In Verbindung mit der Gartenrekonstruktion werden auch die Schloss-Nebengebäude nach denkmalpflegerischen Richtlinien renoviert. Das historische Marstallgebäude, die Reithalle und die Kommandantur stehen im Jahr der Gartenschau den Besuchern als Museum sowie für Ausstellungen und Gastronomie zur Verfügung. Das alles spricht dafür, dass der Barockgarten für viele Besucher der Mittelpunkt der Gartenschau sein wird.

Paderaue

Weniger ins Auge fällt dem flüchtigen Besucher der Auebereich, der durch den Ortskern von Schloss Neuhaus in zwei Teile getrennt ist. Die Paderaue erstreckt sich vom Padersee am Stadtrand von Paderborn entlang der Pader bis nach Schloss Neuhaus. Nur am Rande werden sich gärtnerische Aktivitäten sehr zurückhaltend entwickeln. Kopfweiden und Pappeln prägen das Bild der renaturierten Auenlandschaft. Beim Anblick dieser Kopfweiden sollte man aber auch über das Romantische, das sich mit dem Bild dieser Bäume verbindet, an die Realität denken. Das Kopfholz dieser in regelmäßigen Abständen geköpften Bäume war Material für die Korbflechterei, war den Bauern Brennholz, Weidengeflechte wurden zum Ausfachen von Fachwerkhäusern oder für den Deichbau verwendet. Heute haben wir praktisch keine Verwendung mehr für diese Weiden. Doch regelmäßige Pflege, das heißt Schnitt der Kopfweiden, ist für ihre Erhaltung unbedingt nötig. Werden die Bäume nicht regelmäßig zurückgeschnitten, droht die Gefahr, dass die oft hohlen Stämme unter der Last der Äste auseinanderbrechen.

Kopfbaumbestände sind aber in jedem Fall erhaltenswert. Neben ihrem kulturhistorischen Wert haben sie große ökologische Bedeutung. Von vielen Vögeln werden die hohlen Stämme als Bruthöhlen genutzt, zum Beispiel vom Steinkauz, dessen Bestand in Nordrhein-Westfalen gefährdet ist. Auch Säugern wie Mäusen, Iltissen und Steinmardern bieten die alten Stämme Unterschlupf. Auch bieten Weiden Lebensräume für eine außerordentlich große Anzahl von Insekten.

Das Kruggelfeld, der Rosenhang und, durch die Alme davon getrennt, die Almeaue schließen sich über ein kleines Wäldchen an den Schlossgarten an. Das Kruggelfeld bietet einen Einblick in westfälisches Brauchtum, Landwirtschaft und Gartenbau. Stichworte sind unter anderen

 

- Blühende Feldflur,

- Schöpfungspfad,

- Grünes Klassenzimmer,

- Platz der Begegnung mit Gottesdiensten im Gelände,

- Klanggarten,

- Leben in der Steinzeit und im Mittelalter,

- Erwerbsgartenbau heute,

- Kräuter und Wildsalate, Medizinalgarten,

- Altes Handwerk und bäuerliche Tätigkeiten aus dem Paderborner Land,

- Grabmal und Grabbepflanzung.

In diesem Bereich angesiedelt ist auch ein Blindengarten. Darüber ist in einer Presseinformation folgendes zu finden:

Der 1. Pflanzenführer für Blinde und Sehende erschien kürzlich zur Frankfurter Buchmesse. Die Autoren des Buches mit dem Titel: „Heilkräuter und Gewürze am Wegrand" sind die bekannte Brauchtumsforscherin Beate von Sobbe und der Illustrator Hans Mertens-von Sobbe. Erstmalig existiert damit ein Pflanzenführer, in dem Blinde und Sehende heimische Kräuter bestimmen und viel Interessantes über sie erfahren können. Alle Texte und Bildunterschriften sind in Brailleschrift und in einem Großdruck in Schwarzschrift erstellt. Die Pflanzen sind plastisch abgebildet; ihre Umrisse lassen sich ertasten. So ist auch die bildhafte Darstellung der Pflanzen für Blinde und Sehende gleichermaßen erkennbar. Parallel zur Erscheinung des außergewöhnlichen Pflanzenführers wird es auf der Landesgartenschau in Paderborn ein Hochbeet für Blinde geben. Dort werden alle im Führer beschriebenen Kräuter zu finden sein. Auch die Pflanzen im Hochbeet sind sowohl in Schwarzschrift als auch in Brailleschrift ausgeschildert. In bequem erreichbarer Höhe können die Pflanzennamen von Blinden und Sehenden gelesen werden. Fäden führen von den Tafeln zu den dazugehörigen Pflanzen und geben Blinden Sicherheit bei der selbständigen Bestimmung der Pflanzen. Bewusst wurden von der Autorin Beate von Sobbe, die für die Auswahl der Pflanzen Blinde zu Rate zog, heimische Kräuter der Wegränder für den Pflanzenführer ausgewählt, denn diese Pflanzen können Blinde auf Spaziergängen in der Natur selbst wiederfinden.

Viele der Kräuter, zum Beispiel der Feld-Thymian oder die echte Pfefferminze, kann man allein an ihrem Duft erkennen. Die markanten Blütenstände des Spitzwegerichs, die filigranen Formen des Ackerschachtelhalms oder die weichen Blätter der wolligen Königskerze spiegeln die Vielfalt der heimischen Pflanzenwelt wider und lassen sich durch Tasten und Fühlen am Hochbeet erfahren. Das Hochbeet für Blinde auf der Landesgartenschau ist einer der Ausstellungsbeiträge im Gartenschaugelände, die besonders auf Menschen mit Behinderungen eingehen. Der ».Garten der Sinne", der vielfältige Möglichkeiten zur Steigerung des sinnlichen Wahrnehmungsvermögens bietet, der behindertengerecht angelegte Auenspielplatz, der „Klanggarten" und viele Aktionen sind weitere attraktive Angebote.

Auf einer 250 Quadratmeter großen Fläche am Lippebogen wird im „Klanggarten“ über zwölf Lautsprecher eine eigens zu diesem Anlass komponierte Musik des Würzburger Komponisten Burkhard Schmidl erklingen. Dabei soll es jedoch, so der Komponist, „eher ruhig“ zugehen. Das Ziel dieses Projektes, erklärte der Geschäftsführer der Landesgartenschaugesellschaft, Hans-Joachim Grote, nach Abschluss des Vertrages mit Burkhard Schmidl, sei es, .Musik und Garten miteinander zu verbinden". Als Standort wurde der Lippebogen im Schlossgelände von Schloss Neuhaus ausgewählt. Dort werden an zwölf Bäumen mit Hilfe spezieller Befestigungen, um Beschädigungen zu vermeiden, Lautsprecher aufgehängt. Aus jedem der Lautsprecher ertönen andere Teile der Komposition. In dreifacher Quadrophonie kommen die verschiedensten Instrumente, Stimmen und Geräusche aus unterschiedlichen Richtungen an das Ohr des Besuchers. Je nach dem Standort des Zuhörers ergibt sich ein anderes Klangbild aus meditativen, stark europäisierten Synthesizerklängen orientalischer, indischer oder fernöstlicher Herkunft, aus Tierstimmen und Naturgeräuschen. In erster Linie soll die Musik im „Klanggarten“ entspannend wirken. Daher stehen für die Zuhörer Stühle und Bänke bereit, damit sie das einstündige Werk, das ständig wiederholt wird, genießen können.

Almeaue

Über eine Brücke gelangt man in den anderen Teil der Almeaue. Baulicher Höhepunkt ist sicher der Treffpunkt Auenpark mit dem daran anschließenden Auenspielplatz. Landschaftsarchitekt BDLA Christhard Ehrig, der die Gesamtplanung zur Landesgartenschau in den Händen hat, sieht den Platz als ein Kommunikationszentrum für jung und alt. Zahlreiche rundgeschliffene Flussfindlinge, die der Landschaftsarchitekt eigens im Bayerischen Wald ausgesucht hat, prägen das Bild dieses Spielplatzes mit einem großen Wasserlauf. Christhard Ehrig bestimmt vor Ort die Lage jedes einzelnen Steines. Und auch jede einzelne Pflanze legt er selbst aus. Ich konnte ihn bei seiner engagierten Tätigkeit beobachten und im Gespräch feststellen, wie sehr ihn die Aufgabe Landesgartenschau Paderborn fesselt „Wasser - Klettern - Erleben" ist das Motto dieses Spielplatzes, auf dem Kinder und Erwachsene mit Wasser experimentieren, Staudämme errichten, aber sich auch in ruhigere Einzelspielräume mit Schaukel oder Klettergerüst zurückziehen können. Dort ist auch Raum für Phantasie- und Rollenspiele und auch für Picknick. Für Behinderte ist ein besonderer Gartenbereich angelegt, in dem sie Klanghölzer und andere Klanggeräte melodisch erleben können.

In diesem Teil der Gartenschau wird auch der Verband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau Westfalen-Lippe im GaLaBau-Forum beratend tätig sein zu Fragen der Vermeidung von Bodenversiegelung, Verwendung von Baustoffen und deren Umweltverträglichkeit, Pflanzenauswahl, Pflege von Gärten, Kompostierung sowie Dach- und Fassadenbegrünung. Beispielhafte Gartengestaltung am Wasserband, Kunst in der Aue mit Beiträgen von bildenden Künstlern und natürlich auch viele Elemente der Renaturierung der Aue runden ein Bild ab, das noch viele andere Aspekte bietet.

Mein Eindruck nach dem ersten kurzen Rundgang und dem Gespräch mit dem Planer dieser Landesgartenschau ist, kurz zusammengefasst, dass hier ein hervorragendes städtebauliches Grünkonzept in der Verbindung von Padersee mit dem Lippesee verwirklicht und gesichert wurde und nach langer militärischer Nutzung mit der Rekonstruktion des Schloss-Parterres auch ein hervorragender kulturhistorischer Beitrag geleistet wurde. Ein Besuch lohnt sich (16. April bis 3. Oktober).

Autor:
Prof. Alfred NIesel

Jahr:
1994

Typ:
Magazin

Verlag:
Patzer Verlag GmbH (Berlin / Hannover)

ISBN / ISSN:
0548-2836

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